Utopien der Postmoderne – Warum Star Trek nicht mehr Star Trek ist

Star Trek ist vieles zugleich. Die Welt rund um die Vereinigte Föderation der Planeten und ihre Vision interstellarer Kooperation ist Utopie, popkulturelle Referenz und eben auch ein Produkt, das verkauft werden will. Schon immer, spätestens aber seitdem in Star Trek: The Next Generation (TNG) der Draufgänger Captain Kirk durch den älteren, an klassischer Musik und Archäologie interessierten Jean-Luc Picard ersetzt wurde, streitet das Fandom um den Wesenskern von Star Trek. So ist es kaum verwunderlich, dass auch die aktuell laufenden Star-Trek Serien nicht vor Kritik gefeit sind. Aber etwas ist heute anders: Die 2017 angelaufene Realfilm-Serie Star Trek: Discovery (DSC) kritisieren Fans nicht (nur) aufgrund von Set- und Make-Up Design oder der ‚korrekten‘ Darstellung der Föderation und ihrer Prinzipien. Zu diesen altbekannten Diskussionen gesellen sich Fragen nach der politischen Aussage der Serie. 

DSC sei ‚preachy‘, die Serie drücke Zuschauenden eine politische Haltung auf. Ein diverser Cast sei wichtiger als eine gute Story. So kommentierte ein User in der Facebook-Gruppe ‚NuTrek Sucks Discussion Forum‘: „white men in space barely exist - unless they also have another protected characteristic - then it becomes political.i Aber es wäre zu einfach die politische Kritik an DCS schlicht auf eine konservative Einstellung der Kritiker*innen zu beziehen – auch, weil ich selbst die Serie nicht so genießen konnte, wie die die älteren Iterationen von Star Trek (im Fachjargon Classic Trek genanntii). An dieser Stelle sollte ein kurzer Exkurs in die Sprache des Fandom stattfinden. Bei 12 Fernsehserien ist die Gefahr groß, den Überblick zu verlieren.iii  

Zurück zum Thema: Discovery ist im Fandom eher unbeliebt. Nun gut, Geschmäcker sind verschieden. Hier könnte dieser Text enden. Aber es ist doch erstaunlich, dass Fans über die Grenzen politischer Lager hinweg in der Aussage zusammenkommen, DSC sei nicht wirklich Star Trek. Dieses Phänomen wird im Folgenden mithilfe kulturwissenschaftlicher Konzepte untersucht. Einen Rahmen hierfür liefern Julia Kristevas Gedanken zur Intertextualität und Frederic Jamesons kritische Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur der Postmoderne. Aber um Star Trek zu diskutieren zu können, muss erklärt werden, was Star Trek ist. In diesem Sinne folgen zunächst einige Ausführungen zum Wesenskern des Franchise. Auf dieser Basis können am Ende verschiedene Ebenen der Kritik an DSC zu identifiziert werden. Spätestens an dieser Stelle brechen aktuelle gesellschaftliche Konflikte rund um Identitätspolitik, Repräsentation von Minderheiten bzw. Diversity und der Möglichkeit von Utopien im Angesicht einer immer krisenhafter werdenden Gegenwart in das Universum von Star Trek ein. Im Einklang mit der Etymologie seiner Textgattung ist dieser Essay gleichsam ein Versuch des Autors, seine eigene Begeisterung für Classic Trek kritisch zu hinterfragen.  

Star Trek Kanon und der Traum einer besseren Welt  

Es gibt einen Traum, der sich wie ein roter Faden durch 60 Jahre Trek-Geschichte zieht, der tief in die Welt von Star Trek eingeschrieben ist und seit Anbeginn der Zivilisation existiert. Es ist der Traum von einer besseren Welt, die keine Kriminalität kennt, wo niemand hungern muss und die Ungleichheit überwunden ist. Im Universum von Star Trek kooperieren alle Menschen (bzw. alle intelligenten Spezies) miteinander – nicht für den persönlichen Vorteil bzw. die Anhäufung von Reichtum, sondern für Fortschritt und Frieden. Oder, mit den Worten von Jean-Luc Picard zusammengefasst: “The acquisition of wealth is no longer the driving force in our lives. We work to better ourselves and the rest of humanity.”iv Armut und Ungleichheit sind in der Welt von Star Trek durch Technologie obsolet geworden. Sogenannte Transporter bringen Individuen in einem Wimpernschlag an jeden Ort eines Planeten und Replikatoren produzieren (fast) alle Güter aus dem Nichts. Geld für ein Produkt oder ein schickes Apartment im Stadtzentrum zu verlangen, wäre mit diesen Technologien widersinnig. 

Star Trek gießt diesen Traum in die Gesellschaftsform der Vereinigten Föderation der Planeten (UFP), einer Art galaktischer UN. Zu den vier Gründerspezies, die sich im Kampf gegen das Romulanische Sternenimperium vereinigt haben und ihre Differenzen zu überwinden lerntenv, kommen mit der Zeit hunderte neuer Mitgliedswelten hinzu – freiwillig und selbstbestimmt, ohne dass dafür ein Phaser oder Photonentorpedo abgefeuert werden müsste. Die Föderation steht allen warpfähigen Welten offen (also denen, die sich mittels eines Warp-Antriebes schneller als das Licht bewegen können). Ihre oberste Direktive ist es, sich niemals in die Angelegenheiten von Nicht-Mitgliedern einzumischen ihre Existenz sogar gänzlich vor nicht-warpfähige Zivilisationen zu verbergen. Die Held*innen der Serie waren bis 2017 Personifikationen des Guten. Ihre primäre Mission ist: To boldly go where no one has gone before.vi Wir sehen den Hauptfiguren dabei zu, wie sie sich philosophierend bzw. mit Mitteln der Diplomatie oder der Logik aus jedem erdenklichen Schlamassel befreien. Keine Prüfung ist zu schwer, keine Lage zu aussichtslos. Dabei stützen sich unsere Held*innen (fast) nie auf brachiale Gewalt und ihre von Partikelwaffen oder Photonentorpedos emanierende Macht. Sie lösen Probleme durch Witz, Intelligenz und Charisma, ohne ihre Ideale zu verraten (bzw. verraten zu müssen).  

Diese Grundsätze vereinigen sich zu einem Star-Trek-Kanon. Das Wort Kanon stammt aus dem Alt-Griechischen und bedeutet Messstab, woraus sich auch die Bedeutung des Begriffes herleitet. Der Literaturwissenschaftler John Sutherland beschreibt den literarischen Kanon als Sammlung „würdiger“ Texte; als das „was man lesen sollte, um im eigenen Umfeld respektiert zu werden.“vii Eine ähnliche Funktion trägt auch der Star-Trek-Kanon. So gelten alle Ereignisse der Filme und Serien des Franchise als Teil des Kanons und Autor*innen tun gut daran, ihn zu respektieren. Keine Handlung darf mit der Logik vorherigen Werke brechen. Die „vulkanisierte Fanbase“viii sucht akribisch nach jeder noch so kleinen Ungereimtheit und straft Fehler mit Häme oder gar Boykott.  

Jan Phillip Kruse identifiziert eine Assemblage aus ethischen und erzählerischen Merkmalen, die für Star Trek bezeichnend sind, als Signatur des Star-Trek-Kanon.ix Ethische Konflikte ergeben sich bei Classic Trek oftmals aus der Doppelrolle der Sternenflotte zwischen Militär der UFP und Forschungseinrichtung. Ihr primäre Aufgabe ist die Erkundung des Weltraumes, dabei oszilliert sie aber zwischen der friedlichen Prämisse und ihrer Aufgabe, die Utopie der Föderation vor inneren und äußeren Gefahren zu schützen. Und in den Tiefen des Weltraumes lauern viele Bedrohungen: z. B. die kriegshungrigen Klingonen, mit denen die Föderation erst im Jahr 2293 Frieden schließen konnte, das listige Sternenimperium der Romulaner, die faschistoide Cardassianische Union, das von Formwandlern kontrollierte Dominion oder die Borg, ein nach der Assimilation aller technisch fortgeschrittenen Zivilisationen strebendes Cyborg-Kollektiv. Im Angesicht dieser Feinde verliert die Sternenflotte aber niemals ihre Prinzipien aus den Augen, auch wenn es oft den Held*innen der jeweiligen Serie obliegt, ihre Vorgesetzten an diese zu erinnern. Konflikte werden dabei stets in den 40 Minuten einer Episode problematisiert und beigelegt. Dabei lässt die Erzählweise der ausführlichen Diskussion um das richtige Handeln viel Raum und negiert gleichzeitig Konsequenzen für die nächste Episode, denn der zugrundeliegende Konflikt ist aufgelöst.  

Fremden Wesen begegnen die Held*innen nicht mit Gewalt, sondern auf Augenhöhe, sei ihr Verhalten auch noch so unverständlich bzw. auf den ersten Blick als aggressiv zu interpretieren. Ihre Andersartigkeit lädt die Protagonist*innen dazu ein, ihre eigenen Prinzipien und Grundsätze zu reflektieren anstatt das Fremde apriorisch zu verurteilen. Kulturwissenschaftlerin Katja Kanzler fasst die Rolle des Anderen in Classic Trek so zusammen: „Immer wieder hat Star Trek Geschichten erzählt, in denen der scheinbar so fremdartige Alien zum Vertrauten wird; in denen das Gemeinsame herauspräpariert wird, das selbst der fremdartigste Alien mit den Protagonist*innen teilt; in denen immer wieder – durchaus didaktisch – betont wird, dass der oder die Andere nicht notwendigerweise schlechter oder bedrohlich ist, sondern einfach nur anders.“x   

Star Trek: Discovery und der Zusammenbruch der Hoffnung 

Die Welt von Star Trek Discovery ist düsterer. Die Hauptfigur, Michal Burnham, zettelt gleich in der ersten Folge einen Krieg mit dem Imperium der Klingonen an. Diese Klingonen sehen nicht nur anders aus, ihnen kommt auch eine gänzlich andere Rolle zu. In Classic Trek fungierte die kriegerische Spezies als das Andere, anhand dessen sich die Prinzipien der Föderation aufzeigen lassen.xi Das Friedliebende der Föderation wurde gegenüber der Gewalt der Klingonen besonders deutlich, ob im Konflikt mit ihnen oder, wie in TNG und Deep Space 9 (DS9), als komplizierte aber ehrbare Verbündete. Discovery hingegen inszeniert die Klingonen als Kriegsgegner der Föderation, als Bedrohung für die Utopie. Dabei wird aber gleich in der Pilotfolge der Serie klar, dass eben jene friedliche Utopie der UFP von den Klingonen wiederum als Bedrohung ihrer Lebensart empfunden wird. So versammeln sie sich unter dem Schlachtruf „remain Klingon“ zum Kampf gegen das als scheinheilig empfundene „we come in peace“ der Sternenflotte. 

Einen Schritt zurück: Burnham, eine Offizierin der Sternenflotte, zettelt einen Krieg an? Das scheint nicht in die Signatur des Star-Trek-Kanons nach Kruse zu passen! Hier lohnt sich genaueres Hinsehen. Denn auch in der narrativen Herleitung des präemptiven Angriffs auf die Klingonen zeigen sich grundlegende Differenzen von DSC zu Classic Trek. Zuschauende sehen folgende Szenerie: Raumschiffe der Klingonen und der Föderation stehen sich zunächst in einer unübersichtlichen Situation gegenüber, aber noch ist kein Schuss gefallen. Burnham diskutiert mit ihrem Captain und dem befehlshabenden Admiral über das richtige Vorgehen. Sie argumentiert, die Föderation könne bzw. müsse sich den Respekt der Gegenseite verschaffen, indem sie zuerst schießen und so ihre Bereitschaft zum Kampf zeigen solle: „The ideal outcome for any Klingon interaction is battle. They’re relentlessly hostile, sir. It’s in their nature.“xii Burnham, deren Eltern bei einem Angriff der Klingonen getötet wurden, spricht hier als Xeno-Anthropologin und unterstellt den Klingonen kulturell festgelegte Kampfeslust. Kanzler setzt diesen Moment in Bezug zu aktuellen Debatten um cultural racism, also einer Art post-rassistischem Rassismus, der fixe, gruppeninhärente Praktiken auf Basis kultureller Prägungxiii behauptet.  

Eine Hauptfigur in Star Trek, die das Trauma des Verlustes ihrer Eltern mit Vorurteilen verarbeitet; das klingt zwar realistisch, ist aber weit entfernt von der Signatur des Kanons. Oder hat Burnham alles richtig gemacht, weil, wie uns die Szenen aus dem Klingonischen Flaggschiff zeigen, der Krieg mit der Föderation doch erklärtes Ziel des Anführers der Klingonen war? Die Antwort auf diese Frage ist so einfach wie unbefriedigend: Wir wissen es nicht. Klar ist, dass die Macher*innen von Discovery ihre Hauptfigur nicht mehr als die Personifikation des Guten darstellen: „Tatsächlich tut die Pilotfolge aber einiges dafür, ihr implizites Publikum von der Figur Michael Burnham zu distanzieren.“xiv Auch die Crew des namensgebenden Raumschiffes USS Discovery trägt mitunter kaum die aus Classic Trek bekannten Charakterzüge. Da ist Captain Lorca, der als skrupelloser Kriegsherr beschrieben werden kann. Auch sein erster Offizier Saru, dessen zentrales Merkmal seine Ängstlichkeit ist, mag ebenfalls nicht recht in die Heldengeschichten früherer Serien passen. Generell zieht sich das Motiv der Angst durch die gesamte Serie, wie Kanzler und Schwarke in ihrer Einleitung zum Sammelband „Star Trek: Discovery – Gesellschaftsvisionen für die Gegenwart“ feststellen. Angst vor dem Verlust ihrer Traditionen sei das Leitmotiv der Klingonen, sie breche sich in der Föderation im Angesicht der drohenden Kriegsniederlage Bahn und legitimiere den Verstoß gegen grundlegende Prinzipien der UFP. Außerdem werde Angst durch die unübersichtliche und hektische Bildgestaltung beim Zuschauer erzeugt.xv 

An dieser Stelle ist wichtig zu erwähnen, dass DSC nicht die erste Star Trek Serie ist, welche die UFP im Kriegszustand abbildet. Die letzten beiden Staffeln von DS9 behandeln den Krieg der Föderation gegen das Dominion. Auch hier werden Prinzipien gebrochen und hinterfragt, ob die Menschheit wirklich so friedliebend und offen ist, wie sie sich es sich selbst gerne einredet: „They're [die Menschen] wonderful, friendly people, as long as their bellies are full and their holosuites are working. But take away their creature comforts, […] and those same friendly, intelligent, wonderful people will become as nasty and as violent as the most bloodthirsty Klingon.“xvi 

Aber die in diesem Zitat besprochenen Menschen spielen Nebenrollen. Sie sind junge und verängstigte Offizier*innen, die verzweifelt versuchen, einen Außenposten zu halten. Ihre Überforderung zeigt, dass die Föderation im Krieg bis zum äußersten getrieben wird. Aber am Ende werden sie natürlich von den mutigen Hauptfiguren gerettet. Diese Episode unterstreicht also vor allem, wie wahrhaft gut die Held*innen sind, weil sie auf die relative Sicherheit ihrer Raumstation verzichten und stattdessen helfen, den Außenposten zu verteidigen. Am Ende hält DS9 die Hoffnung hoch, dass die Menschen der Zukunft am Ende doch ihre Ideale behalten können. Dagegen erscheint die Föderation in DSC hoffnungslos; im Krieg hoffnungslos unterlegen und fast ebenso sehr von Angst geprägt wie die Gegenwart. Aktuelle Konflikte ragen in die Zukunft hinein. Discovery „fragt, was für die ‚gute Gesellschaft‘, die Star Trek verspricht, nötig ist; welche Arbeit in ihr steckt; welche Verletzbarkeiten sie mit sich bringt; und was sie niemals tun darf.“xvii  

Star Trek: Discovery als postmoderne Utopie  

Star Trek war schon immer politisch und hat Bezug zur Gegenwart genommen. Aber die Art der Ansprache der Fans hat sich mit dem Start von DSC drastisch verändert. Mit Julia Kristeva gesprochen, hat sich die Erzählweise von Star Trek vom Monologischen ins Dialogische gewandelt. Kristeva stellt diesen Gegensatz in ihren Ausführungen zur Logik der poetischen Sprache und der Intertextualität der Literatur auf. Sie geht davon aus, dass Texte per se einen dialogischen Charakter haben. Ein Text hat immer Bezug zu anderen Texten und stets sind Geschichte und Gesellschaft in ihn eingeschrieben. Demnach ist auch das Schreiben eines Textes niemals nur schreiben, sondern immer eine Mischung aus dem Lesen von äußeren Einflüssen und dem Schreiben in, gegen, für oder über sie.xviii So kann Star Trek als Paradebeispiel für Intertextualität verstanden werden: Jede Produktion steht immer in Bezug zum Kanon und ist in den Kontext ihrer Gegenwart eingebunden. 

Für Classic Trek lässt sich ein eher monologischer Zugang beschreiben. Kristeva stellt fest: „Das Epische ist […] religiös, theologisch, und jede realistische Erzählung, die der 0/1-Logik folgt, ist dogmatisch.“xix 0/1-Logik bezieht sich auf ein Vorhandensein binärer Kategorien, innerhalb derer Bedeutung ausgemacht wird. Dabei ist immer klar, wer gut und wer böse ist. Wir können uns sicher sein, auf der richtigen Seite zu stehen, wenn wir der Besatzung der Enterprise die Daumen drücken. Nach Kristeva umschreibt das Monologische einen Ist-Zustand, der apriorisch und nicht weiter erklärungsbedürftig ist, zum Beispiel die Utopie von Star Trek. Deren Zustandekommen wird nicht problematisiert, aber ihr Sein in jeder Episode auf die Probe gestellt und in der Auflösung eines exemplarischen Konfliktes bestätigt.  

Eine dialogische Erzählweise bzw. Struktur läge hingegen dann vor, wenn ein Text das Werden fokussiert. Hier können mehrere Erzählstränge gleichzeitig laufen, deren Handlungen in einer „nicht-ausschließenden Opposition“xx miteinander verbunden sind. Eine Utopie kann gleichzeitig als die Erfüllung eines Traumes erscheinen und als Bedrohung – remain Klingon vs. we come in peace. Damit wird aber auch die Zuweisung von Bedeutung komplizierter. Wir können uns nicht mehr gedankenlos auf die Seite der Hauptfiguren stellen, ohne sicher sein zu können, dass sie sich nicht als böse Doppelgänger aus einem Spiegeluniversum entpuppen.xxi  

Diese Ambivalenz der Erzählweise spiegelt einen verspäteten Übergang der Star Trek Welt von der Moderne in die Postmoderne wider. Der US-amerikanische Marxist und Literaturkritiker Frederic Jameson beschreibt die Moderne als „prophetisch, elitär mit autoritärem Gestus“, wohingegen die Postmoderne „nur in einer empirischen, chaotischen Aufzählung heterogener Phänomene benannt werden“ könne.xxii Liefe Classic Trek im Klingonischen Fernsehen, würde es seine Zuschauer*innen nur in ihrer Abneigung gegen die Föderation bestätigen. Zu selbstgefällig kommt die utopische Darstellung der Föderation daher. DSC hingegen gibt sich selbstkritischer. Trotzdem würde ein Klingone an vielen Stellen ratlos sein.  

Denn ein weiteres Symptom postmoderner Kulturproduktion nach Jameson lässt sich bei Discovery entdecken: Classic Trek verortete sich, wie die moderne Kultur, „jenseits der Welt des Realen, deren Spiegelbild [sie] in verschiedenen Formen zurückwirft: von der beschönigenden Widerspiegelung [...] zur schmerzvollen Darstellung in der Utopie.“xxiii Allerdings hätte sich diese relative Autonomie der Kultur in der Postmoderne aufgelöst. Die postmoderne Kultur hingegen verliere ihre Distanz und breite sich in alle Lebensbereiche aus. So steigt auch Star Trek Discovery vom Elfenbeinturm herab, in dem gesellschaftliche Probleme als Meta-Themen eher andeutend behandelt wurden, und begibt sich mitten ins Schlachtfeld des Konkreten. Plötzlich beschweren sich Fans über Identitätspolitik in Star Trek.  

  1. Zurück in die Gegenwart

Aber ist dieser Vorwurf berechtigt? Star Trek war schon immer ein Vorreiter bei der Repräsentation von Minderheiten. Bereits der Cast Star Trek: The Original Series (TOS) war divers, was Trek-Schöpfer Gene Roddenberry zufolge die Utopie verdeutlichen sollte. Gleichzeitig weist TOS so subtil auf die Missstände seiner Gegenwart hin, indem Zuschauenden im Angesicht der gleichberechtigten Stellung der Charaktere klar wird: „we must be centuries from where we are now.“xxiv TNG und DS9 werfen Fragen nach der Geschlechtsidentität auf, indem die Spezies der Trill eingeführt wird und mit Jadzia Dax eine angehörige der Trill zu den Hauptpersonen in DS9 zählt. Die Trill sind eine symbiotische Spezies. Der humanoide Wirt bzw. Host beherbergt einen wurmartigen Symbionten, der ewig lebt und verschieden Wirte bewohnen kann. Stirbt ein Host, lebt der Symbiont mit den Erinnerungen seiner früheren Leben weiter und übernimmt die Geschlechtsidentität des neuen Wirts. Der Dax-Symbiont wurde 2018 geboren und lebte bis zum Ende von DS9 in neun Wirten, fünf davon Frauen und vier Männer. Dass Dax mit Beginn der Handlung von DS9 vom Mann zur Frau wird, thematisiert die Folge „Blood Oath“.xxv 


Aber DSC spricht anders über die Lebenswirklichkeit seiner queeren Charaktere, hier wird dargestellt und nicht mehr nur angedeutet. Bei Discovery sitzen alle an einem Tisch: der homosexuelle Chefingenieur Paul Stammets, die Xeno-Antropologin und -Biologin Michal Burnham als Women of Color sowie Adira, die erste nicht-binäre Hauptrolle in Trek. Sie alle prägen die Serie und bringen die Handlung voran. Dabei zeigt sie die Serie eindeutig(er) als Minderheit, reduziert sie aber nicht darauf. Sie sind in erster Linie Ingenieur oder Wissenschaftlerin. Wenn aber beispielsweise Stammets über Adira mit falschen Pronomen spricht, wird das natürlicherweise problematisiert, weil sie als Protagonist*innen in der Enge eines Raumschiffes miteinander funktionieren müssen und gleichberechtigt sind. Hier lässt sich ein Effekt beobachten, den Aladin El-Mafaalani in seinem Essay „Alle an einem Tisch“ beschreibt. Er spricht vom Diskriminierungsparadoxxxvi: Demnach führe mehr Teilhabe zu mehr Sensibilität für Diskriminierung, ergo zu mehr Kritik daran.  

Wer sprechen kann, kann Themen setzen. Wenn sich also Zuschauende daran stören, dass Adira auf korrekte Pronomen hinweist, ärgert sie, dass Adira die Möglichkeit zum Sprechen hat. Menschen, die sich an der Integration von Minderheiten stören, mögen Discovery nicht. Sie schreiben Kommentare wie die in der Einleitung zitierte Auslassung über den Mangel weißer Männer und übersehen dabei, wie wichtig positive Repräsentation für Angehörige von Minderheiten ist. Gleichsam wird ignoriert, dass Star Trek genug weiße cis-Männer als Identifikationsfiguren bereithält – so auch die 2022 erschienene Serie Star Trek: Strange New Words (SNW) um Kirk-Vorgänger Christopher Pike. Diese weist zudem zahlreiche Elemente der Signatur des Trek-Kanons nach Kruse auf.  

Mir selbst gefällt SNW besser als Discovery. Die Serie verbindet aktuelle Anforderung an Diversität mit der Erzählweise von Classic Trek.  Wenn ich Star Trek konsumiere, dann reizt mich vor allem die Einfachheit der Utopie. Ich fühle mich durch das positiv verzerrte Dahinplätschern der Erzählung wie in Watte gepackt – weit weg von der Sorge um die eigene Obsoleszenz durch KI und dem Damoklesschwert der Klimakrise. Ich denke, so geht es vielen, progressiv eingestellten Trekkies. Unsere Welt ist so schlecht, dass die Darstellung des Menschen als das absolute Gute wie Morphium wirkt. Dabei sollten aber niemals Absolutheitsansprüche von Menschen gestellt werden, die vergessen, dass ihnen Classic Trek mehr Identifikationsfiguren anbietet als anderen.  

DSC dagegen ist eine im Angesicht der Gegenwart realistische Utopie. Die Serie greift drängende Themen auf und webt diese auf kreative Weise in den Star Trek Kanon ein – eine Utopie ohne offen queere Menschen funktioniert heute genauso wenig wie die monologische Darstellung der Föderation als die Guten. Das macht die Serie aktueller und (post-)moderner. Wer Discovery eine neoliberale Allianz zwischen Identitätspolitik und Kapitalismus vorwirftxxvii verkennt aber, dass auch Classic Trek nach derselben Logik im Sinne von Adorno und Horkheimer als „Serienprodukt de luxe“xxviii beschrieben werden kann. Denn am Ende sollte Star Trek seit jeher Geld erwirtschaften und wird (bis zur Utopie) immer ein kapitalistischen Vermarktungslogiken unterworfenes Produkt bleiben.  

 

Quellen- und Literaturverzeichnis

i Quelle: https://www.facebook.com/groups/1398532856911437/permalink/5885161661581845/ [aufgerufen am 29.03.23 15:51, nur sichtbar für Gruppenmitglieder] – NuTrek bedeutet New Star Trek, und bezieht sich auf die aktuell laufenden Serien und Filme.
ii Der Begriff Classic Trek schafft als Begriffspaar mit NuTrek eine sprachliche Grenze zwischen älteren und neueren Serien.
iii Daher wird den Serien ein Kürzel aus drei Buchstaben zugewiesen. Das ist platz- und zeitsparend, kann Nicht-Trekkies aber verwirren. In diesem Essay wird daher bei erstmaliger Nennung einer Serie immer zuerst der volle Titel ausgeschrieben und das Kürzel dahinter in Klammern gesetzt. Kürzel und ausgeschriebene Seriennamen sind zudem durch kursive Schreibweise gekennzeichnet. Eine Übersicht der Star Trek Serien findet hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Star_Trek#Fernsehserien 
iv Captain Picard, der über hier nicht näher genannte Umstände ins 21. Jh. gereist ist, erklärt einer Zeitgenossin die Prinzipien seiner Epoche. Zitat aus dem Spielfilm Star Trek: First Contact (1996)
v Diese Ereignisse werden in den später Staffeln von Star Trek: Enterprise (ENT, 2001-2005) dargestellt. ENT ist nicht zu verwechseln mit der Originalserie aus den 1960ern rund um Kirk & Spock. Diese heißt im deutschen Star Trek: Raumschiff Enterprise, wird im Fandom und diesem Text mit dem Kürzel TOS (für The Original Series) bezeichnet. 
vi In TOS hieß es noch: „to boldly go where no man has gone before.“ Erst in der TNG-Ära wurde dieser Leitspruch genderneutral formuliert.  
vii John Sutherland (2012): Der Kanon. In: ders.: 50 Schlüsselideen der Literatur. Springer, Wiesbaden. S.60-63, S. 60 
viii Katja Kanzler & Christian Schwarke (2019): Star Trek und die neue Unübersichtlichkeit. Eine Einführung. In: dies. (Hrsg.): Star Trek: Discovery - Gesellschaftsvisionen für die Gegenwart. Springer VS, Wiesbaden, S. 27-48. S.1 – Die Vulkanier sind eine Spezies aus dem Star Trek Universum, die Logik zur obersten Maxime erklärt haben und ihre Emotionen durch Meditation unterdrücken. Sie sind in der Föderation wegen ihrer Intelligenz hoch angesehen, gelten aber auch als Spaßbremsen und Korinthenkacker. 
ix Vgl. Kruse, Jan-Phillip (2019): Star Trek als das „einzig greifbare Beispiel“ einer gelingenden Zukunft? Zur semantischen Krise normativer Potentiale. In: Katja Kanzler, Christian Schwarke (Hrsg.): Star Trek: Discovery - Gesellschaftsvisionen für die Gegenwart. Springer VS, Wiesbaden. S. 27-48 
x Katja Kanzler (2019): Star Trek: Discovery: Fremdsetzung, Serialität und der Star Trek-Kanon. In: Star Trek: Discovery - Gesellschaftsvisionen für die Gegenwart. Springer VS, Wiesbaden. S. 107-121, S. 109 
xi Vgl. Ebd.: S. 115 
xii Szene aus der Pilotfolge von DSC, „A Vulcan Hello“, CBS 2017 
xiii Katja Kanzler (2019): Star Trek: Discovery: Fremdsetzung, Serialität und der Star Trek-Kanon. In: Star Trek: Discovery - Gesellschaftsvisionen für die Gegenwart. Springer VS, Wiesbaden. S. 107-121, S. 118 
xiv Ebd. S. 119 
xv Vgl. Katja Kanzler & Christian Schwarke (2019): Star Trek und die neue Unübersichtlichkeit. Eine Einführung. In: Star Trek: Discovery - Gesellschaftsvisionen für die Gegenwart. Springer VS, Wiesbaden. S. 1-8 
xvi Der Ferengi Quark zu seinem Enkel Nog in der DS9 Episode The Siege of AR-558, Staffel 7, Episode 8.
xvii Katja Kanzler (2019): Star Trek: Discovery: Fremdsetzung, Serialität und der Star Trek-Kanon. In: Star Trek: Discovery - Gesellschaftsvisionen für die Gegenwart. Springer VS, Wiesbaden. S. 107-121, S. 120 
xviii Julia Kristeva (1972): Bachtin das Wort, der Dialog und der Roman: In: Jens Ihwe (Hrgs.), Literaturwissenschaft und Linguistik, Frankfurt am Main, S. 345-375. 
xix Ebd. S. 353 
xx Ebd. S 355
xxi Tatsächlich kommt am Ende der ersten Staffel von DSC heraus, dass der kampfeslustige Captain Lorca eigentlich ein Flüchtling aus dem Spiegeluniversum ist. Das Spiegeluniversum ist ein wiederkehrendes Plot-Device in Star Trek. Es handelt sich dabei um ein Paralleluniversum, in dem die Menschheit den Weg der Unterdrückung, des Chauvinismus und der Gewalt eingeschlagen hat. Außer diesem elementaren Unterschied existieren aber die gleichen Personen, Spezies und Raumschiffe. 
xxii Frederic Jameson (1986): Postmoderne. In: Andreas Huyssen, Klaus R. Scherpe (Hrgs.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels. Reinbek: Rowohlt, S. 45-98. S. 45 
xxiii Ebd. S. 93 
xxiv Amy Stamm (2022): Star Trek and Queer Identity. In: https://airandspace.si.edu/stories/editorial/star-trek-and-queer-identity [aufgerufen am 31.03.2023] 
xxv Star Trek: Deep Space 9, Staffel 2 Episode 19. Die nachfolgende Abbildung findet sich unter: https://www.facebook.com/photo/?fbid=10219575781798521&set=gm.2348550948782558  
xxvi Aladin El-Mafaalani (2019): Alle an einem Tisch, Zwischen Teilhabe und Diskriminierung. In: APuZ 9-11/2019, S. 41-45. S. 42f 
xxvii Vgl. Hierzu Silke van Dyk (2019): Identitätspolitik gegen ihre Kritik gelesen. Für einen rebellischen Universalismus. In: APuZ 9-11/2019, S. 25-32. S. 31f
xxviii Max Horkheimer & Theodor W. Adorno (1944): Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug. In: Andreas Ziemann (Hrgs.): Grundlagentexte der Medienkultur, Wiesbaden 2019, S. 367-377. S. 374 

 

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