Mahlzeit und Einsamkeit – Welches gemeinschaftsstiftende Potential besitzen Mukbang-Videos?
Beim Wunsch nach sozialer Interaktion wird dieselbe Region im Gehirn aktiviert wie bei Hunger. Was zunächst nach einer weithergeholten Behauptung klingt, ist das Ergebnis einer im Jahre 2020 veröffentlichten Studie aus den USA, in der Forschende die Auswirkung von Einsamkeit auf unser Gehirn untersuchten. Essen und Einsamkeit. Zwei Begriffe, die selten zusammengedacht werden. Dabei lohnt es sich – nicht zuletzt aus womöglich eigener Betroffenheit – über deren Verbindung nachzudenken: Die meisten Menschen werden sich einmal in einer Situation wiedergefunden haben, in der sie ein Gefühl von Einsamkeit erlebten, das sich schmerzlich beim Alleinessen offenbarte. Plakativ ausgedrückt: Menschen sind nicht dafür gemacht, dauerhaft allein zu essen.
Dem Akt des gemeinsamen Essens wohnt ein sozialisierendes Potenzial inne, das Menschen dazu antreibt, neue Anlässe für eine Mahlzeit mit anderen Menschen zu suchen. Etwa wenn sich ein Dauerzustand der sozialen Isolation und von mangelnden sozialen Kontakten schwer auflösen lässt. Diese Erfahrung ist nicht neu und wurde bereits vor der weltweiten Coronapandemie gemacht, die jegliche Routinen der Ernährung radikal auf den Kopf gestellt hat. Die auferlegten Einschränkungen hatten unmittelbare Auswirkungen auf das gemeinsame Essen. Während ein Drittel der Menschen in Deutschland häufiger als vor der Pandemie gemeinsam Mahlzeiten einnahmen, sahen sich viele andere in der sozialen Isolation mit Alleinsein und mit Einsamkeit konfrontiert. Diese Erfahrung zieht nicht spurlos an Menschen vorbei.
Doch wo das Bedürfnis nach Gesellschaft besteht, da bietet die virtuelle Welt des Internets endlose Möglichkeiten. Eine davon entstand 2009 in Südkorea: Ein Internet-Videotrend, der das klassische Verständnis von gemeinsamem Essen völlig neu zur Verhandlung stellt. Sogenannte Mukbang-Videos, die in den darauffolgenden Jahren an weltweiter Bekanntheit und Beliebtheit gewannen, werfen unweigerlich die Frage auf, wie neue Arten des Miteinanderessens sich neben dem klassischen Verständnis von Gemeinsam-am-Tisch-Sitzen etablieren können. Wie passen sich Menschen äußeren und inneren Veränderungen an und auf welche Weise lässt sich Gesellschaft bzw. Gemeinschaft noch herstellen? Mit diesem Thema wird sich der vorliegende Essay beschäftigen und nicht nur gesellschaftliche Realitäten aufzeigen, sondern auch das gemeinschaftsstiftende Potenzial von Mukbang-Videos darlegen.
Das gemeinsame Essen ist eine der am weitesten verbreiteten Praktiken unter den Menschen, sowohl in räumlicher als auch zeitlicher Hinsicht. Ausgrabungen 800 000 Jahre alter Überreste von Lebensmitteln in der Nähe von Feuerstellen zeigen, wie lange Menschen schon ihre Nahrung geteilt haben müssen. Tatsächlich wird die Nahrungsteilung in der evolutionären Anthropologie als ein grundlegender Bestandteil der menschlichen Evolution ausgemacht, als ein Mittel der gegenseitigen Zusammenarbeit. Insofern ist das gemeinsame Essen ein grundlegender Teil unserer sozialen Natur.
Schon Kinder essen und trinken, eignen sich gesellschaftliche Strukturen an und verleiben sich soziale Ordnungsmuster geradezu ein. Trotz der sich beschleunigenden und wachsenden Individualisierung bleibt diese Einverleibung ein notwendiger Bestandteil der Identitätsentwicklung. Der Tisch ist immer auch ein Ort ständiger Auseinandersetzung, weil sich hier soziale Ordnungen herstellen und erhalten lassen. Nach der Soziologin Eva Barlösius sei die Mahlzeit eine soziale Institution, die Gleichheit, Gemeinschaft und Zugehörigkeit symbolisiere. Keine andere Institution vereine Menschen so stark wie die des gemeinsamen Tisches: „Durch die Teilnahme an einer Mahlzeit, das Teilen der Nahrung, wird man Mitglied einer Gemeinschaft“ (Barlösius 1999, S. 165). Gerade weil das Essen etwas so Simples und Lebensnotwendiges sei, verfüge es laut dem Soziologen Georg Simmel über eine derart große soziale Bedeutung, dass selbst Personen mit unterschiedlichen Interessen bei der gemeinsamen Mahlzeit zusammenfinden könnten. Dabei sei Essen eigentlich ausgesprochen egoistisch. Simmel stellt fest: „[…] was ich denke, kann ich andere wissen lassen; […] was ich rede, können Hunderte hören – aber was der einzelne ißt [sic!], kann unter keinen Umständen ein anderer essen“ (Simmel 1910, S. 69). Simmel argumentiert so: In dem Augenblick, wo Essen in Form einer Mahlzeit einen sozialen Rahmen annehme, unterliege es Regeln zur Prozedur, zu ihrer Gestaltung und zum Verhalten der Teilnehmenden. Simmel nennt das „überindividuelle Regulierung“ (Simmel 1910, S. 71). Diese überindividuelle Regulierung zeigt sich auch in der Gesetzmäßigkeit von Mahlzeiten. Ein definierter Kreis an Personen trifft sich zu einer festgelegten Zeit, an einem bestimmten Ort, um gemeinsam zu essen. Während der Mahlzeit besteht in der Regel eine klare hierarchische Reihenfolge beim Servieren der Speisen. Tischregeln sollen das richtige Verhalten der Teilnehmenden bewirken. Alle diese Vorgaben sorgen dafür, die Mahlzeit über die individuellen Bedürfnisse zu stellen.
Nun ist es aber so, dass ein schleichender Wandel in unserem Umgang mit Mahlzeiten beobachtet werden kann. Zeitrhythmen wandeln sich, die klassischen Mahlzeiten werden durch schnelle Snacks ergänzt, ersetzt oder sie finden in anderen sozialen Zusammenhängen statt. Auch die Verbindlichkeit der Teilnahme wird anders bewertet. Oft ist die verfügbare Zeit zu knapp und das gemeinsame Essen nimmt an Priorität ab. Welche andere Realität müssen wir uns demnach vergegenwärtigen, wenn Menschen nicht immer die Möglichkeit haben, an einer geselligen Mahlzeit teilzuhaben; wenn sie etwa allein leben oder tagsüber zu wenig Zeit haben, um Anlässe zum gemeinsamen Essen zu organisieren bzw. wahrzunehmen? In der letzten großen Ernährungsstudie der Techniker Krankenkasse von 2017 zeigt sich bei der Gestaltung von Mahlzeiten, dass 35% der Deutschen ihre Hauptmahlzeit regelmäßig allein einnehmen. Von den Alleinstehenden sind es sogar 59 %. Nicht selten werden sich Menschen besonders in der Situation, in der sie ohne Gesellschaft essen, ihrer Einsamkeit bewusst. Einsamkeit ist eine sehr subjektive Erfahrung. Sie beschreibt das unangenehme Gefühl, das Individuen spüren, wenn sie ihre sozialen Beziehungen als qualitativ oder quantitativ unbefriedigend empfinden. Sie ist für Menschen ein großer Stressfaktor, der mit signifikanten Gesundheitsrisiken verbunden ist. Chronische Einsamkeit erhöht u. a. das Risiko von Schlafstörungen, Depressionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und geht letztlich mit einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko einher. Die Coronapandemie könnte diese Probleme verstärkt haben. Besonders jene Personen, die bereits zuvor unzureichende soziale Beziehungen geführt haben, sind von Einsamkeit bedroht. Die meisten Menschen erfahren temporäre Einsamkeitsgefühle irgendwann in ihrem Leben, seit der Pandemie wird dies vielen noch einmal besonders bewusst.
Wie körperlich verzahnt das Bedürfnis nach sozialer Nähe und Essen als Praxis ist, wird in der eingangs erwähnten Studie von 2020 besonders deutlich. Forschende des Massachusetts Institute of Technology (MIT)und des Salk Institute untersuchten die Gehirne von vierzig gesunden, geselligen jungen Erwachsenen nach zehn Stunden Fasten oder sozialer Isolation. Sie stellten fest, dass die neurologischen Reaktionen der Teilnehmenden nach der Zeit des Alleinseins auf soziale Signale ähnlich ausfielen wie die Reaktion hungriger Menschen auf Essen – d. h. bestimmte Bereiche des Gehirns, die mit Heißhunger verbunden sind, wurden aktiviert. Bei einer isolierten Person löste ein Bild von gemeinsam lachenden Menschen die Aktivierung der gleichen Hirnregionen aus wie bei einer hungrigen Person, die ein Bild ihrer Leibspeise sah. Das Ergebnis passe aus Sicht der Wissenschaftler*innen zu der intuitiven Vorstellung, dass soziale Kontakte ein menschliches Grundbedürfnis seien, ähnlich wie Essen. So wie Hunger ist demnach auch die Einsamkeit ein überlebenswichtiger Impuls, der uns dazu motiviert, wieder mit anderen in Kontakt zu treten.
Während der Essenstisch, wie zuvor geschildert, traditionell ein Ort des physischen Miteinander-in-Kontakt-Tretens darstellt, braucht es Alternativen, wenn eine solche Art des Aufeinandertreffens aus verschiedenen Gründen nicht gelingen kann. Es braucht einen Ort, der über die physische Begegnung hinausgehen kann und trotzdem einen sozial befriedigenden Mehrwert bietet. Eine alternative Form des gemeinsamen Essens könnte das Phänomen Mukbang bereitstellen. Mukbang ist ein Kunstwort aus den koreanischen Wörtern meokneun(essen) und bangsong (senden) und bezeichnet ein Livestream- und Videotrend aus Südkorea, bei dem in der Regel eine Person, im Folgenden Broadcast Jockey (BJ) genannt, eine Reihe von üppigen Gerichten präsentiert und diese vor Hunderten von Zuschauenden teilweise exzessiv und übermäßig verspeist. Wem der Begriff Foodporn etwas sagt, erkennt Parallelen zu Mukbang: Es verschafft den Zuschauenden eine stellvertretende Befriedigung, insbesondere durch die sensorische Stimulation, die durch die visuelle und akustische Darstellung des Essens vermittelt wird. Das Essen wird sorgfältig präsentiert und mitunter absichtlich laut verspeist, um die Essgeräusche zu dramatisieren. Mittlerweile ist die Popularität dieser Unterhaltungsshow weltweit in vielen Regionen sprunghaft angestiegen. Seitdem ist die Zahl der Mukbangsund ihrer Zuschauenden sehr schnell gewachsen. Beliebte Mukbangs haben Millionen von Anhänger*innen und ihre Videos werden innerhalb kürzester Zeit von Zehntausenden Menschen gesehen. Die Essenssendung wird über soziale Netzwerke (Instagram, YouTube, Twitch, Online-Fernsehen etc.) verfolgt und zieht viele Zuschauende für verschiedene Arten von Mukbangs an. Die essenden Personen und das Publikum kommunizieren darüber hinaus multimodal miteinander: Die BJs sprechen während des Essens über die Livestream-Kamera und den Audiokanal zu den Zuschauenden, diese wiederum geben über einen Livechat-Raum Kommentare in Echtzeit aneinander und an die BJs ab. Dieses Chat-Fenster ermöglicht es dem Publikum einerseits, gezielt in den Akt des Essens einzuwirken, indem es die BJs auffordern kann, bestimmte Handlungen auszuführen, etwa, was diese als nächstes essen sollen. Andererseits können die BJs ihre Zuschauenden in den Akt des Essens einbeziehen, indem sie sie gezielt fragen, was sie tun sollen. Auf diese Weise bietet und unterstützt Mukbang eine virtuelle Plattform für geselliges Essen, bei dem die Rollen der Beteiligten asymmetrisch sind, sich aber gegenseitig bedingen.
In Südkorea ist die Praxis des gemeinsamen Essens als kulturelles Merkmal anerkannt: Die Menschen teilen nicht nur einen Tisch, sondern essen auch von denselben Gerichten. Das gemeinsame Essen ist das Herzstück der traditionellen koreanischen Esskultur: Bei der prototypischen koreanischen Mahlzeit versammelt sich die Familie um einen gemeinsamen Tisch und teilt zahlreiche gemeinsame Gerichte. Die Aussicht, allein zu essen, war daher lange Zeit Gegenstand eines kulturell empfundenen Stigmas. Während das Essen in Südkorea also als gemeinschaftliche und soziale Aktivität gilt, sehen sich die jüngeren Generationen mit einer anderen Realität konfrontiert: individualistische Haushalte, Alleinstehende, die ihre Mahlzeiten allein und isoliert einnehmen. Die Kommunikationswissenschaftlerin Seok-Kyeong Hong bringt die Popularität von Mukbang in Südkorea mit der Zunahme von Einpersonenhaushalten in Verbindung, die sich als eine der auffälligsten Veränderungen in der koreanischen Sozialstruktur herausgestellt habe. Im Jahr 2015 waren Einpersonenhaushalte mit 27,1% der häufigste Haushaltstyp in Südkorea, der den traditionellen Drei- oder Vierpersonenhaushalt überholt. Dieser Anteil wird voraussichtlich bis 2035 34,3% erreichen. Diese Veränderung ist zum Teil auf die Zunahme der altersbedingt alleinlebenden Senior*innen zurückzuführen, aber auch auf die Modernisierung Südkoreas und die hohen Bildungsstandards, die dazu geführt haben, dass mehr junge Erwachsene aus ihrem Elternhaus ausziehen, die Heirat hinauszögern und allein leben. So argumentiert Hong, dass der inhärente soziale Wert des Essens zusammen mit dem unterhaltsamen und interaktiven Charakter des Mukbang den Alleinlebenden helfe, eine Form von Intimität durch soziale Interaktionen zu erreichen und den mit dem Essen verbundenen sozialen Hunger zu lindern. Dadurch hat in den letzten Jahren die traditionelle Praxis des gemeinsamen Essens bei der jüngeren Generation eine neue Gestalt angenommen. Viele junge Menschen nutzen Mukbang als ihren Essensbegleiter; es ist wie eine gemeinsame Mahlzeit, bei dem sich die Zuschauenden emotional verbunden fühlen. Die Shows bieten eine Alternative, welche denjenigen, die physisch allein essen, ein Gefühl von Zusammengehörigkeit vermittelt.
Die populäre Faszination für Mukbang wird in wissenschaftlichen Artikeln in erster Linie als Versuch interpretiert, eine Lösung für die Überwindung von Gefühlen der Verzweiflung, Einsamkeit, Isolation und des Verlustes zu finden. Im Artikel „The Psychology of Mukbang Watching“ (2020) von Kircaburun, Harris, Caladound Griffiths konstatieren die Autor*innen, dass der Hauptgrund für die große Fangemeinde von Mukbang in den grundlegenden Bedürfnissen der Menschen nach Essen und Geselligkeit auszumachen sei. Viele Zuschauende hätten angegeben, dass das Anschauen von Mukbang-Videos ein Mittel sei, um Einsamkeit zu überwinden und Gesellschaft zu suchen. Jüngsten psychologischen Untersuchungen zufolge löse Mukbangdie soziale Isolation durch die Interaktion der Zuschauenden sowohl mit den BJs als auch mit anderen Zuschauenden auf und vermittle ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Mukbang kompensiere unerfüllte soziale Bedürfnisse im nicht-virtuellen Leben und Zuschauende erhielten auf diese Weise soziale Befriedigung. Dies lässt Bezüge zu älteren und bekannteren Beispielen erkennen, wo das Soziale im Digitalen existiert: interaktive Online-Games, Online-Foren, Soziale Medien etc. All diese Plattformen ermöglichen soziales Engagement und die Erleichterung, unerfüllte Bedürfnisse durch bestimmte Online-Aktivitäten zu kompensieren. Sie werden als Treffpunkte und Gelegenheiten der sozialen Interaktion genutzt. Das Essen als gemeinsame Praxis stellt für sich jedoch einen besonderen Akt dar, denn unter all den Dingen, die Menschen gemeinsam haben, ist das Essen und Trinken „das Gemeinsamste“ (Simmel 1910, S. 69) – das hat bereits Georg Simmel geschrieben. Dass das Format Mukbang aber auch Nachteile mit sich bringen kann – die Veränderung von Essensvorlieben, Essgewohnheiten und Tischmanieren, die Förderung von Essstörungen und potenziellen Exzessen – ist sicherlich eine eigene Abhandlung wert.
Welche Erkenntnisse können wir an dieser Stelle festhalten? Die Formen des gemeinsamen Essens waren bisher dem traditionellen Verständnis und der gesellschaftlichen Übereinkunft unterlegen, dass die gemeinsame Mahlzeit als soziale Institution dient und bestimmten Konventionen zu entsprechen hat. Die Realität ist aber, dass das gemeinsame häusliche Mittagessen als die Hauptmahlzeit so kaum noch stattfindet. Die zunehmenden individualistischen Lebensformen in Leistungsgesellschaften, Einpersonenhaushalte und soziale Isolationen erlauben eine klassische Realisation der Mahlzeit nicht mehr so selbstverständlich. Eben aus diesen Gründen und einer daraus wachsenden Einsamkeit entwickeln Menschen neue Wege des sozialen Zusammenseins und Essens, aus einem überlebenswichtigen Impuls heraus entstehen neue Gelegenheiten miteinander zu essen und zu kommunizieren. Dies kann auch auf virtuellem Wege geschehen. Das Phänomen Mukbang macht technologisch möglich, was traditionell nur offline möglich ist; der Tisch geht in eine abstrakte Form über. Mukbang ist eine neue Möglichkeit, mit anderen Menschen zusammen zu sein und erfüllt den Wunsch, nicht allein zu essen. Mittels der multimodalen Möglichkeiten des Mukbang entwickeln die Teilnehmenden eine neue Art des Zusammenseins, die gleichzeitig auf traditionelle Formen der Essenspraxis zurückgreift und diese neu zur Verhandlung stellt. Die durch Mukbang geschaffene Partizipationsmöglichkeit führt zu einer gemeinsamen Neudefinition dessen, was es heißt, allein und gemeinsam zu essen. Es verwandelt das, was bislang traditionell als soziales Stigma angesehen wurde, in eine wirksame Ressource, die physisch getrennte Menschen durch Essen und Trinken technologisch miteinander verbindet. Die Videos werden womöglich nie die Einsamkeitsgefühle der Zuschauenden vollends tilgen, aber zumindest lindern können.
Das Aufkommen neuer (virtueller) Formate wie Mukbang werden traditionsgesinnte Menschen tendenziell eher ablehnen und als sozialisierende Kraft nicht validieren bzw. nicht annehmen können. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass sie existieren – und das nicht grundlos. Sie sind eine Chance, darüber nachzudenken, welche alternativen Formen des gemeinsamen Essens neben den traditionellen existieren können. Dabei geht es nicht darum, dass sich diese Formen in allen Aspekten spiegelbildlich mit der herkömmlichen decken müssen, sondern um die Schaffung hinreichender Alternativen. Den Aussagen der Ernährungswissenschaftlerin Gesa Schönberger folgend, ist die starke Bindung an Ort und Zeit vielleicht gelockert worden, doch das Essen ist, genauso wie das Atmen, Trinken, Schlafen und Kleiden, ein menschliches Grundbedürfnis und der Mensch kann die Kultur seiner Mahlzeit bestimmen und verändern – also das Wann, Wie und Wo.
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Abbildung: Essende Person am Handy. URL: https://www.pexels.com/photo/anonymous-young-lady-eating-sushi-and-using-smartphone-at-home-4173296/, Zugriff am 10.11.2022.