Unstillbarer Hunger? Inszenierungen von Essen und Verlangen in Killing Eve


Serienschauen macht mich oft hungrig. Als ich kürzlich zusammen mit einer Freundin eine Serie schaute, forderte sie mich leicht genervt auf, etwas zu essen, weil ich unaufhörlich die Speisen auf dem Bildschirm kommentierte. Bisher habe ich allerdings nur ein einziges Gericht aus einer Serie „nachgekocht“: Den Shepherd’s Pie[1] aus Killing Eve. Ein Shepherd’s Pie ist generell nicht besonders ästhetisch, auch in der entsprechenden Szene wird er nicht besonders schön angerichtet. Es gibt offenbar andere Gründe, warum ich solchen Appetit auf das Gericht hatte, dass ich es nachgekocht habe. Einer dieser Gründe hängt damit zusammen, wie das Essen in die Szene, Folge und in die gesamte Serie eingebunden ist. Killing Eve (Fennell/Heathcote/Neal/Waller-Bridge 2018–20222) handelt von der MI5-Mitarbeiterin Eve Polastri (gespielt von Sandra Oh), die es sich, unbefriedigt von ihrem Bürojob, zur Aufgabe macht, die extravagante und erfolgreiche Auftragsmörderin Villanelle (gespielt von Jodie Comer) zu stellen.  Wie passen eine Spionageserie und ein Shepherd’s Pie zusammen? Dass Essen ein zentraler Teil in Killing Eve ist, fällt erst beim genauen Hinschauen auf – gerade deswegen möchte ich mich dem Thema widmen. Die in diesem Essay besprochenen drei Staffeln sind ein andauerndes Katz-und-Maus-Spiel und fokussiert auf die toxische Beziehung zwischen Eve und Villanelle. Die Spannung liegt größtenteils darin, dass oft nicht klar ist, ob Szenen zwischen den Protagonistinnen mit dem Tod oder mit Sex enden. Im Vergleich zu anderen Serien, wie z. B. Gilmore Girls, wird in Killing Eve weniger über Lebensmittel oder Gerichte geredet, viel mehr ist Essen eine konstante Präsenz in der Serie. Gerade weil Essen in Killing Eve zuerst nebensächlich erscheint, ist es interessant, die Serie hinsichtlich dessen näher zu betrachten und dabei verschieden Fragen zu verfolgen: Ist die Inszenierung von Essen in Killing Eve tatsächlich nebensächlich? Ist die Art und Weise, wie Charaktere essen, von Bedeutung? Wie lassen sich die Darstellungen mit anderen Repräsentationen von Frauen und Essen in Serien oder Filmen einordnen? Mein Ziel ist es, die verschiedenen Funktionen von Essen in Killing Eve zu untersuchen, um besser zu verstehen, welchen Beitrag die Darstellung von Essen in einer TV-Serie leisten kann.

Inszenierung von Essen in filmischen Darstellungen

Um mich dem Thema Essen in Serien und Filmen zu nähern, habe ich versucht, die unterschiedlichen Arten, wie Essen in Filmen oder Serien vorkommen kann, zu kategorisieren. Die folgenden Erläuterungen sind weder vollständig noch objektiv und sollen vor allem aufzeigen, wie präsent Essen in filmischen Darstellungen ist.  
Ganz allgemein sind Koch- oder Essverfilmungen ein eigenes Genre, das zusätzlich in viele Subgenres aufgeteilt werden kann. Zum Beispiel lassen sich viele der Filme (mehr oder weniger gut) der Kategorie Drama oder romantische Komödie zuordnen: What’s Cooking (2000), Chocolat (2000), Bella Martha (2001) / No Reservations (2007), Julie & Julia (2009) oder Eat Pray Love (2010). Alle diese Filme haben gemeinsam, dass Kochen oder Essen zentrale Teile der Handlung sind und mit Themen wie Liebe, Selbstfindung und Familie eng verknüpft sind.
Dann gibt es Filme, in denen der Fokus der Handlung nicht so sehr an Essen geknüpft ist, es aber trotzdem im gesamten Film oder in einzelnen Szenen eine bedeutsame Rolle spielt. Beispiele hierfür sind: The Godfather (1972), Ocean’s 8 (2018), Harry Potter (2001–2011), When Harry Met Sally (1989), Saving Face (2004) oder Carol (2015). Diese Filme lassen sich nochmals aufteilen in Filme, in denen das Essen (das konkrete Gericht oder Lebensmittel) das Zentrale für die Szene ist, und welche, in denen die Tätigkeit, zu essen, aber nicht das, was gegessen wird, relevant ist (auf Englisch ist diese Formulierung sprachlicher einfacher, da es die Unterscheidung zwischen „food“ und „to eat“ gibt). In Carol beispielsweise wird die generelle Unschlüssigkeit von Therese verdeutlicht, als sie das gleiche Gericht wie Carol bestellt und so die Entscheidung vermeidet, sich selbst ein Gericht aussuchen zu müssen (Haynes 2015: 19:53–20:08). In Ocean’s 8 sind mehrere Charaktere regelmäßig beim Essen zu sehen, ohne dass damit größere Aussagen über die Persönlichkeiten der Frauen gemacht werden, außer, dass sie Menschen sind, die essen (Buote 2018).
Diese Zuordnungen lassen sich auch auf TV-Serien anwenden, allerdings gibt es wenig Serien gibt, in denen es primär um Essen oder Kochen geht und die keine Reality-TV-Formate sind. Trotzdem wird in den meisten Serien regelmäßig gegessen und Essen ist oft fester Bestandteil einer Folge (Ghanem 2020). Häufig gibt es bestimmte Restaurants oder Cafés, welche die Charaktere immer wieder aufsuchen (z. B. in Friends (1994–2004) oder Sex and the City (1998–2004)) oder Familienmitglieder essen in den meisten Folgen gemeinsam, wie in Gilmore Girls. Durch die Regelmäßigkeit, mit der Zuschauer*innen den Charakteren beim Essen zuschauen, wird eine Vertrautheit und Nähe zu den Protagonist*innen und dem Universum der Serie etabliert (Ghanem 2020). Insgesamt ist Essen in Filmen oder Serien meist mehr als nur eine Requisite, sondern kann ein Katalysator für Emotionen und Intimität sein. Im Gegensatz dazu können Serien, in denen Essen überhaupt keine Rolle spielt und Charaktere nie oder wenig beim Essen zu sehen sind, schnell steril und kalt wirken (ebd.). Mein Eindruck ist, dass in Serien die Rolle von Essen oft zurückhaltender inszeniert oder vermarktet wird, aber diese dort trotzdem nicht weniger bedeutsam als in Filmen ist.
Obwohl Geruch oder Geschmack in filmischen Darstellungen fehlt, kann die Erfahrung, Essen zu sehen, trotzdem erfüllend sein (Lindenfeld/Parasecoli 2016:19). Michel Ghanem schreibt: „My theory is that food on television is memorable because it appeals to more than one of your senses. We can’t taste what we see, but sometimes it feels like we almost can.“ (2020). In meiner Wahrnehmung ist dies besonders zutreffend, wenn entweder das Gericht besonders eindrucksvoll aussieht (im positiven wie negativen Sinn), oder Charaktere/Schauspieler*innen so essen, dass wir ihnen glauben, dass die Speise besonders gut oder schlecht ist.
Bei der Analyse von Essen in filmischen Darstellungen, wird oft über die Inszenierung des Essens gesprochen, weniger aber über den Moment, in dem gegessen wird (Buote 2018). Dabei hat auch dieser Moment eine Funktion: Wenn Personen in Filmen essen, hilft es dabei, die Performance oder den Charakter zu erden, Bezug zur Realität herzustellen und den Charakter wie einen reellen Menschen erscheinen zu lassen (ebd.). Filmemacher*innen verwenden Essen um „personalities, cultural backgrounds, social status, and evolving personal relationships“ (Lindenfeld/ Parasecoli 2016: 2) der Charaktere darzustellen. Zudem können dadurch, was oder wie Charaktere essen, Umstände ausgedrückt werden, ohne dass sie verbalisiert werden: „The evocative potential of the moving image is reinforced when cuisine and ingestions are used to convey dynamics and feelings that would otherwise be difficult to express visually or verbally“ (Lindenfeld/ Parasecoli 2016:2). Das heißt, selbst wenn Charaktere nebenbei essen und es in der Szene nicht direkt um Essen geht, kann die Art und Weise, wie sie essen (genussvoll, hastig, verhalten), etwas über den Charakter allgemein oder die konkrete Stimmung in der Szene aussagen. Nicht immer sind solche Interpretationen allerdings schlüssig: Lorelai und Rory in Gilmore Girls schieben ihr Essen meist auf dem Teller umher, obwohl in der Serie etabliert ist, dass sie gerne essen (Ghanem 2020).
Die „banality of eating“ (Buote 2018) steht hauptsächlich Männern zu, Frauen in Filmen oder Serien dürfen weniger „einfach so“ essen, geschweige denn so, dass es genüsslich aussieht (Carmichael 2020). Grade das ist aber in Killing Eve zu finden: Villanelle und Eve essen mit Hunger, das Essen scheint wie ein Ersatz für das Verlangen zwischen ihnen zu stehen (Carmichael 2020).

Essen in Killing Eve

Villanelles erster Auftritt in Killing Eve ist gleichzeitig die erste Szene der Serie. Zuschauer*innen sehen eine junge, braunhaarige Frau in einem Eiscafé sitzen und scheinbar friedlich ein Eis löffeln. Schnell wird deutlich, dass die Situation nicht ganz so idyllisch ist: Villanelle ahmt ein freundliches Lächeln des Verkäufers nach, um ein Kind anzulächeln. Dann steht sie auf, kippt dem Kind den Eisbecher auf die Kleidung und lacht anschließend – diesmal deutlich echter („Nice Face“ 0:00–1:47). Villanelle führt ihre Handlungen in der Szene – vom Eisessen bis zum Umkippen – scheinbar mit Genuss aus. In kurzer Zeit wird Villanelle als fies, aber humorvoll charakterisiert und als Person, die in kleinen, bedachten Handlungen aufgeht.

Screenshot 1 („Nice Face“ 2018)

Auch Eve isst in einer ihrer ersten Szenen. Allerdings isst sie nicht so genüsslich, dafür aber begierig. Eve kommt verkatert zur Arbeit, lässt sich von ihrer Kollegin ein Croissant geben und versucht, es unauffällig während des Meetings zu essen, was ihr nicht gelingt („Nice Face“ 3:00–4:53). Auch in dieser Szene zeichnen sich Eigenschaften ab, die sich durch die gesamte Serie ziehen: Eve isst oft aus tatsächlichem Hunger oder Notwendigkeit, seltener aus purem Genuss und ist zudem selten diejenige, die etwas für sich kocht oder mitbringt.
Beide Szenen haben zudem gemeinsam, dass in ihnen mithilfe der Lebensmittel der groteske und trockene Humor der Serie etabliert wird.

Screenshot 2 („Nice Face“ 2018)

Auch in der ersten Szene, in der Eve und Villanelle (wissentlich) am selben Ort sind, spielt Essen eine Rolle: „From the start, food has always been inextricable from desire. Their inner most desires are hinted through food, since their first meeting (…)“ (Carmichael 2020). Villanelle ist in Eves Wohnung eingebrochen und erwartet Eve, die davon ausgeht, dass Villanelle gekommen ist, um sie zu töten. Diese möchte aber „nur“ mit Eve zu Abend essen. Eve serviert Villanelle den von ihrem Mann Niko gekochten Shepherd’s Pie und schaut Villanelle beim Essen zu, ohne selbst zu essen. Die Szene ist angespannt und gleichzeitig unterhaltsam: Eve ist sichtbar nervös, ist nass von einer vorherigen Kampfszene und trägt ein Abendkleid, dass Villanelle heimlich und statt der eigenen Kleidung in Eves Koffer gepackt hat. Villanelle wiederum sitzt scheinbar entspannt am Tisch, schaufelt sich regelrecht den Shepherd’s Pie in den Mund und ist sich ihrer eigenen Fähigkeiten scheinbar so sicher, dass sie es Eve erlaubt, mit Messer in der Hand am Tisch zu sitzen („I Have a Thing about Bathrooms“ 21:13–25:38). Szenen am Esstisch sind oft ein Ort angespannter Gespräche und gleichzeitig ein Ort von Geborgenheit oder Vertrautheit. In Killing Eve wirkt Villanelles entspannte Art zu essen merkwürdig gegensätzlich zu der angespannten Situation. Dass Eve nicht selbst kocht ist auch keine Ausnahme, in der gesamten Serie kocht sie kaum und wenn, dann nur mit Grund, beispielsweise als versöhnliche Geste ihrem Mann gegenüber und als sie in der dritten Staffel in einem Restaurant arbeitet. Eve wird durch das Nicht-Kochen charakterisiert, es steht im Kontrast zu Niko, der sie mit Gerichten versorgt, während sie immer mehr von ihrer Arbeit eingenommen wird (West-Knights 2019).
Auch der Shepherd’s Pie selbst hat Relevanz und ist ein wiederkehrendes Motiv, zu einem späteren Zeitpunkt foltert Villanelle Niko und entlockt ihm dabei das Rezept, vermutlich um Eve damit zu beeindrucken.[2] Villanelle isst in der Szene, wie sie auch in den meisten Szenen isst: So, als ob sie Hunger hat – Hunger im buchstäblichen und im übertragenen Sinne. In dieser einen Szene werden mithilfe des Essens verschiedene Aspekte hervorgehoben, die Bedeutung für die gesamte Serie haben.

Screenshot 3 („I Have a Thing about Bathrooms“ 2018)

 

Screenshot 4 („I Have a Thing about Bathrooms” 2018)

Das Besondere und in Bezug auf filmische Darstellungen Radikale an Villanelles Art zu Essen ist, dass sie zum Genuss isst und nicht nur, weil sie es zum Überleben benötigt (Carmichael 2020). Wenn (cis) Frauen in Filmen essen, ist es häufig eine Metapher für Sexualität oder Moralvorstellungen und soll oft Einsamkeit oder („übermäßigen“) Genuss darstellen (Buote 2018). Die Kritik liegt darin, dass (cis) Männern selten auferlegt wird, dass ihr Essen etwas über sie aussagt, es aber bei essenden (cis) Frauen nicht ausreicht, dass sie essen, weil sie Menschen sind (ebd.). Diese Kritik scheint, angesichts der vergeschlechtlichten und binären gesellschaftlichen Vorstellungen über Essen, angebracht.
Einerseits gibt es in Killing Eve eine Vielzahl an Szenen, die genau dieses Stereotyp widerlegen: Villanelle und Eve essen nebensächlichen, während sie andere Tätigkeiten verrichten. Andererseits ist Essen in Killing Eve nicht nur eine Begleiterscheinung und lässt sich auch in Beziehung zu den Charakteren interpretieren: Villanelles „Hunger“ ist nicht nur sichtbar in ihrer Art zu essen, sondern auch, wenn sie tötet und durch ihre obsessive Art zu begehren oder lieben. Allerdings werden damit, jedenfalls ist so mein Eindruck, keine urteilenden oder moralisierenden Kommentare über Villanelle gemacht. Villanelle könnte schnell das Stereotyp der queeren, mordenden Femme Fatale erfüllen, ihr Charakter ist aber komplex genug geschrieben und gespielt, sodass dies nicht der Fall ist (West-Knights 2019). Welche Speisen und wie Villanelle diese konsumiert, ist Teil ihres Charakters sowie Hinweis auf ihr Verlangen und dadurch banal und gleichzeitig eine Metapher.
Essen in filmischen Darstellungen muss, meiner Meinung nach, nicht frei von Bedeutungen oder Metaphern sein, sondern kann gezielt inszeniert werden. Dabei ist es aber wichtig, welche Aussagen getroffen werden und wie diese sich zu gesellschaftlichen Positionierungen verhalten, sodass keine Stereotype reproduziert werden.

Food-Acting, oder: Wie wird in Killinge Eve gegessen?

Essen in Filmen oder Serien existiert oft auch außerhalb der Darstellung selbst, Kochbücher oder Blogs mit Rezepten zu den Gerichten aus Film oder Serie erweitern die Erfahrung. Auch für Killing Eve gibt es von der Serie inspirierte Rezepte. Dass es den Impuls gibt, Gerichte aus Filmen oder Serien zu kochen, scheint ein Indiz dafür zu sein, dass die Speisen entweder besonders lecker aussehen oder den Charakteren besonders gut zu schmecken scheinen – wie erklärt sich sonst mein Impuls einen Shepherd’s Pie zu kochen, nachdem ich die entsprechende Folge gesehen hatte?
Die Momente, in denen Charaktere essen, werden zudem medial als GIFs oder Videos weiterverarbeitet. Es gibt zahlreiche YouTube-Zusammenschnitte, die alle Essensszenen in Killing Eve dokumentieren. Die Videos tragen Titel wie villanelle eating (ASMR) for 3 minutes straight (Flamboyant Mess 2020), Killing Eve Food Edition: Villanelle and Eve constantly eating(Villanellingeve 2020) oder Villanelle Eating Compilation in Chronological Episodes (ft. The Man by Taylor Swift) (Tallulah Shark 2019). Allein aus den Titeln lässt sich schlussfolgern, dass in Killing Eve auffällig viel gegessen wird und dass die Art und Weise, wie gegessen wird, das zu sein scheint, was Zuschauer*innen anspricht und fasziniert. Dabei ist die Art, wie Villanelle isst, nicht unbedingt ästhetisch oder schön. Villanelle spricht mit vollem Mund (überhaupt ist ihr Mund beim Essen oft sehr voll), Essgeräusche sind zu hören und sie leckt sich währenddessen Reste vom Mund. Ausschlaggebend dafür, wie Essen in filmischen Darstellungen wahrgenommen wird, ist auch das sogenannte „Food-Acting“ der jeweiligen Schauspieler*innen. Food-Acting (oder Act-Eating), ist die Art, wie Schauspieler*innen essen, wenn das Essen nicht der Mittelpunkt der Szene ist. Über Brad Pitts Food-Acting in zahlreichen Filmen existiert es ein 15-minütiges Video (Burger Fiction 2019) und auch zu Szenen, in denen Sandra Bullock isst, gibt es einen Zusammenschnitt (Owenergy 2021). Darüber, ob Food-Acting eine subtile Kunstform ist (Flynn 2016) oder übertriebene, unecht wirkende Schauspielentscheidungen sind (Nahman 2019), lässt sich sicher diskutieren. Festzuhalten ist aber, dass Food-Acting beeinflusst, wie Zuschauer*innen Charaktere wahrnehmen, und wie eine Figur isst, kann Teil der Persönlichkeit sein. In Killing Eve ist das Food-Acting der Schauspieler*innen insofern relevant, als dass es so aussieht, als würden die Charaktere tatsächlich essen. Dadurch werden die Charaktere nahbar, auch wenn ihre zentralen Handlungen in der Szene weniger alltäglich sind. Zudem ist die Art, wie Villanelle und Eve essen, trotz der Beiläufigkeit mit Bedeutungen aufgeladen und kann als Symbol des queeren Verlangens zwischen den Protagonistinnen verstanden werden (Carmichael 2020). Die filmischen Darstellungen von Essen und Sexualität sind oft miteinander verknüpft (Lindenfeld/ Parasecoli 2016:12), in Killing Eve ist dies weniger durch das Aussehen des Essens, sondern im beschriebenen Food-Acting zu finden. Mein Eindruck ist, dass das Queere an der Essenweise von Eve und Villanelle nicht (nur) damit zu hat, dass beide Frauen sind, sondern viel mehr ein Hinweis auf die Beziehung, die sie führen, ist: Beide werden durch die Abhängigkeit zueinander angetrieben und scheinen sie teilweise zu genießen, gleichzeitig bleibt der Genuss nur kurz erhalten und ist nie ganz zufriedenstellend.

Essen, Geschlecht und Zuhause in Killing Eve

Genau wie sich filmische Darstellungen hinsichtlich ihrer Aussagen zu gesellschaftlichen Strukturen wie Klasse, Geschlecht oder race analysieren lassen, so können auch Repräsentationen von Essen in Bezug auf ihre politische Aussagen analysiert und eingeordnet werden (Baron, Bernhard, Carson 2013: 5). Dementsprechend lassen sich im dargestellten Essen und darin, wie in Killing Eve gegessen wird, auch politische Aspekte finden (Turner 2019). Eines der in diesem Zusammenhang in Killing Eve analysierten Lebensmittel ist Fleisch, insbesondere Würste. Laut Hanh Nguyen werden in vier der acht Episoden der ersten Staffel Würste entweder benannt oder sind sichtbar, Nguyen schreibt diesen Momenten verschiedene Bedeutungen zu, bspw. „Sausages as a Calming Presence or Foreshadowing“ oder „Sausages as Phallic Stand-In“ (Nguyen 2018). Interessanter als die verschiedenen Interpretationen zu Würsten scheint mir die allgemeine Präsenz von Fleisch, die insofern eine politische Komponente hat, als dass Fleisch stereotypisch mit Männlichkeit assoziiert wird (Turner 2019). In der vierten Folge der ersten Staffel ermordet Villanelle einen Mann, indem sie ihn regelrecht schlachtet – inspiriert von einem Gemälde, das sie zuvor gesehen und welches sie an Speck erinnerte hat („Desperate Times“ 6:21–7:05, 17:15–19:31).

Screenshot 5 („Desparate Times“ 2019)

Screenshot 6 („Desparate Times“ 2019)

Laut Ellen Turner ist das Subversive dieser Szene, die Machtposition, die Villanelle als Frau durch das Töten und Verarbeiten des Fleisches einnimmt (2019). Ich stimme dieser Schlussfolgerung nur mit Vorbehalten zu. Das Essen von Fleisch wird zwar häufig mit Männlichkeit assoziiert, der Akt des Schlachtens und das Verarbeiten von Fleisch steht aber, in meiner Wahrnehmung, nicht ausschließlich mit Männlichkeit in Verbindung. Zum Beispiel wenn das Schlachten und das Zubereiten in direkter Verbindung stehen, oder eine Gruppe von Menschen ein Tier verarbeitet. Zudem wird eine Position nicht automatisch subversiv, nur weil das Geschlecht verändert wird bzw. ein Geschlecht durch ein anderes ersetzt wird. Dennoch ist es eine auffällige Inszenierung, bei der die Grenze zwischen Fleisch als Lebensmittel und Menschenfleisch verschwimmt und die durch das Zusammentreffen von Brutalität und Ästhetik besonders grotesk wirkt.

Nicht nur Zusammenhänge von Essen und Geschlecht, sondern auch über Essen und kulturelle Hintergründe oder Zugehörigkeiten von Eve und Villanelle werden in Killing Eve Aussagen getätigt, allerdings erst relativ spät in der Serie. In der ersten Folge der dritten Staffel läuft Eve durch einen koreanischen Supermarkt und kauft eine Auswahl an „comfort food“ ein, unteranderem Shin Ramyun, laut Wei Ming Kam die meistgekaufte koreanische Instantnudelmarke (2020). Der Autorin zufolge ist Eve offensichtlich von den traumatischen Erlebnissen in der vorherigen Staffel physisch und psychisch erschöpft und die koreanischen Lebensmittel werden für sie zu einem Zufluchtsort. Zusätzlich arbeitet sie in einem koreanischen Restaurant und bereitet dort Mandu und Fleisch vor. Zuschauer*innen sehen Eve beim Einkaufen und Kochen, allerdings nicht beim Essen. Trotz dieser Momente bleiben die Einblicke zu Eves koreanischer Identität in der Serie begrenzt, was vermutlich mit den überwiegend weißen Serienschreiber*innen zusammenhängt (ebd.). Eves Impuls, Essen zu kaufen, das einfach zuzubereiten ist und dass sie (vermutlich) an ihre Kindheit oder Familie erinnert, spiegelt ihren desolaten Gemütszustand wider und kann als Ausdruck ihres Wunsches nach Geborgenheit und Trost interpretiert werden.

Während Eves Familie, abgesehen von ihrem Mann, nicht gezeigt wird, besucht Villanelle in der dritten Staffel ihre (bis dahin tot geglaubte) Familie in Russland. Auch hier ist Essen verknüpft mit der Suche nach Zuhause/Heimat: Villanelles Mutter bietet ihr Korovka, eine russische Süßigkeit, an und später isst Villanelle mit ihrem Bruder Sauerkraut, Oliviersalat und Kohlrouladen, die laut dem Bruder die besten der Welt sind (Ryabikova 2020). Laut Victoria Ryabikova zählt die Repräsentation von russischem Essen zu den gelungeneren Aspekten der Darstellungen von Russland in Killing Eve (2020). Villanelles Entscheidungen und Erfahrungen im Allgemeinen sind nicht unbedingt universell übertragbar oder für viele Zuschauer*innen nachvollziehbar – anstrengende Familienzusammenkünfte mit gutem Essen aber wahrscheinlich schon. Dass auch Villanelle sich dieser Erfahrung nicht gänzlich entziehen kann (sie tötet am Ende ihre Mutter und zündet das Haus an), ist einer der Momente in Killing Eve, in denen Villanelle am verletzlichsten wirkt. Die russischen Gerichte stehen dabei zwar nicht im Vordergrund, ohne Essen würden die Szenen aber nicht so gut funktionieren. Beide Beispiele verdeutlichen, dass es in Killing Eve ist nicht nur von Bedeutung ist, auf welche Art gegessen wird, sondern auch, welche Lebensmittel, wie diese in Zusammenhang mit der Handlung inszeniert werden und welche Emotionen damit transportiert werden können.

Screenshot 7 („Are You From Pinner” 2020)

Screenshot 8 („Are You From Pinner” 2020)

Unstillbarer Hunger und Verlangen

Ein Thema, das sich durch die gesamte Serie zieht, ist Hunger in jeglicher Form. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum die Momente, in denen Charaktere essen, eben nicht nur eine beiläufige Beschäftigung sind – kleine, beiläufige Moment des Essens werde zum Symbol dessen, was in der gesamten Handlung zentral ist. Zu Beginn der Serie ist Eve von ihrer Arbeit und ihrem Alltag gelangweilt und ist „hungrig“ auf Neues und sucht nach Aufregung. Auch Villanelle ist immer hungrig und wird mit dem „hungry caterpillar“ verglichen, der kleinen Raupe Nimmersatt. Die gegenseitige Faszination und Obsession zwischen Eve und Vilanelle scheint wie eine Mischung aus Hunger und Verlangen, beides sind Gefühle, die sich dadurch auszeichnen, dass das eigentliche Bedürfnis unerfüllt bleibt. Selbst wenn das Bedürfnis erfüllt wird, ist der Moment der Erfüllung vorübergehend. Immer wieder treffen Eve und Villanelle in den drei bisherigen Staffeln aufeinander und es gibt mehrere fast tödliche und fast romantische Momente. Letztendlich bleiben sie aber in einer toxischen Abhängigkeit zueinander, es bleibt ein Hunger, der bisher nicht gestillt werden kann. Momente, in denen Charaktere in Killing Eve essen, sind einerseits beiläufig und deuten andererseits auf Gefühle der Protagonistinnen hin, ohne dabei moralische Botschaften zu vermitteln. Die Kombination von Beiläufigkeit und tatsächlich sichtbarem, reellem sowie metaphorischem Hunger ist das, was die Repräsentation von Essen in Killing Eve auszeichnet.

Dass mich Killing Eve inspiriert hat einen Shepherd’s Pie zu kochen, liegt auch daran, dass dieser mit sichtbarem Hunger gegessen wird und die konkrete Speise außerdem emotional aufgeladen ist. Es ist ein bisschen wie in der bekannten „I’ll have what she’s having“ Szene in When Harry Met Sally: Es geht nur bedingt um das Essen, vielmehr möchte ich als Zuschauer*in tiefer in die Welt der Charaktere einsteigen und mich ihnen verbunden fühlen.
In Killing Eve ist die Handlung oft brutal, Menschen sterben auf grausame Weise und weder Villanelle noch Eve treffen besonders moralisch vertretbare Entscheidungen. Trotzdem fühlen sich die Darstellungen für mich oft ehrlicher und schlussendlich greifbarer an als in Serien, in denen Essen vor allem Requisite ist. Auch, weil es so aussieht, als ob die Charaktere ihr Essen genießen und nicht zuletzt, weil Villanelle und ich die fragwürdige Eigenschaft teilen, mit vollem Mund zu sprechen.

[1] Ein Shepherd’s Pie ist ein herzhaftes Gericht aus Hackfleisch (odereiner vegetarische Alternative) mit Hülsenfrüchten und weiterem Gemüse, das mit Kartoffelbrei bedeckt und gebacken wird.

[2] Auch in der hier nicht besprochenen vierten Staffel gibt es eine Szene, in der ein Shepherd’s Pie zubereitet wird.

 

Quellenverzeichnis

„Are You From Pinner“, Killing Eve, Staffel 3, Folge 5, BBC America, United States.

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“Desparate Times” (2019), Killing Eve, Staffel 2, Folge 4, BBC America, United States.

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Haynes, Todd (2015): Carol [DVD], United Kingdom/United States: Number 9 Film.

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